Entwicklungshilfe – Podiumsdiskussion am „Johnny“
Von unserem Redakteur Tobias LuiLahnstein. Wie sollte zukunftsfähige Entwicklungspolitik aussehen? Ist (finanzielle) Hilfe an Regierungen überhaupt sinnvoll, weil sie ohnehin im Korruptionssumpf versickert? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich am Dienstagnachmittag ein hochkarätig besetztes Podium am Johannesgymnasium in Lahnstein befasst: Am Beispiel von Afrika diskutierten unter anderem der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken über Fragen zur Entwicklungszusammenarbeit – mehr als 400 Menschen verfolgten die Veranstaltung, die von der Landeszentrale für politische Bildung organisiert worden war.
Zahlreiche private Organisationen aus dem Rhein-Lahn-Kreis und darüber hinaus präsentierten zusätzlich an Ständen im Schulgebäude ihre Hilfsprojekte und gaben Auskunft über das ehrenamtliche Engagement: Unter anderem stellten der Lahnsteiner Eine-Welt-Laden, der Verein Sterntaler, die Ruandahilfe Braubach, der Verein „Kindern Zukunft geben Ghana“, die Ortsgemeinde Holzheim mit ihrer Ruanda-Partnerschaft, die BBS Lahnstein und der Verein Friedenskinder ihre Arbeit vor.
Spätestens als die beiden gepanzerten Limousinen mit Berliner Kennzeichen auf dem Schulhof eintrafen, wurde deutlich, welch hoher Besuch den Weg nach Lahnstein gefunden hatte: Ein wenig peinlich sei ihm die 45-minütige, staubedingte Verspätung schon, entschuldigte sich Horst Köhler sogleich beim rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz, der das ehemalige Staatsoberhaupt – Köhler war von 2004 bis 2010 höchster Mann im Staate – in Empfang nahm.
Auch Schulleiter Rudolf Loch und Adalbert Dornbusch, Zweiter Beigeordneter der Stadt, begrüßten Köhler, der interessante Neuigkeiten zum Thema Entwicklungshilfe gab. Immerhin sitzt der 71-Jährige für die Vereinten Nationen in einem Gremium großer Persönlichkeiten, das Vorschläge für neue globale Entwicklungsziele erarbeiten soll. Bereits 2010 war eine ähnliche Zielagenda verabschiedet worden – „seitdem hat sich vieles schon positiv entwickelt“, befand Köhler.
„Aber es gibt noch immer viel zu viel Armut in Afrika, und somit ist es wichtig, sich neue Ziele zu setzen.“ Dabei reiche finanzielle Hilfe allein nicht aus, befand auch Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. „Wir müssen Rahmenbedingungen für Entwicklungspolitik vor Ort schaffen“, sagte Unmüßig und gab Beispiele aus der Agrarpolitik, die unmittelbare Folgen für die Lebensumstände in Afrika haben. Genau wie Köhler appellierte sie an die Verantwortung der reichen Welt, als Verursacher vieler globaler Probleme wie dem Klimawandel auch einen Teil zur Lösung dieser Probleme beitragen zu müssen.
„Finanzielle Zuwendungen, die in der Korruption versickern, bringen niemandem etwas“, ergänzte Wolfgang Niedecken, der sich seit Jahren für den afrikanischen Kontinent engagiert und das Projekt Rebound ins Leben gerufen hat. Dieses hat das Ziel, Kindersoldaten eine zweite Chance zu geben. Niedecken berichtete davon, dass die meisten dieser jungen Soldaten von ihren Familien verstoßen seien und nur mithilfe von einer guten Bildung eine Chance hätten, wieder Fuß zu fassen. Dass bei aller Hoffnung auf Verbesserungen auch Geduld mit dem afrikanischen Kontinent gefragt ist, erklärte Rui Sixpence Conzane, der als Vertreter der außerhalb Afrikas lebenden Mosambikaner Mitglied im mosambikanischen Nationalrat der Wissenschaften ist.
„Nach 36 Jahren Krieg braucht mein Land einfach Zeit, um dauerhafte Verbesserungen in der Bildungspolitik zu erreichen.“ Auch er wisse, dass Geld allein nicht ausreiche. „Aber ohne finanzielle Hilfen für die Infrastruktur im Bildungs- und Krankenwesen geht es auch nicht.“ Das Publikum schaltete sich in die sehr lebhafte Diskussion ein – Interesse aus der Schülerhaft, das auch Niedecken begeisterte: „Das ist fantastisch, denn grundsätzlich sind solche Themen nicht sonderlich bekannt. Die Medien sollten sich anstrengen, die Jugend zu sensibilisieren.“ Auch Cedric Crecelius, ehemaliger Schülersprecher, gab sich begeistert:
„Solche Veranstaltungen tragen dazu bei, dass wir uns auch mit Situationen in anderen Ländern beschäftigen.“ Mit vielen nachdenklichen Gesichtern ging die Veranstaltung bei einem Sektempfang zu Ende. „Ich glaube, man hat gespürt, dass es viele Menschen im Land gibt, die ein unheimliches Herz für Afrika haben und selbst etwas verändern wollen. Dieser Gedanke ist heute rübergekommen“, freut sich Innenminister Lewentz, selbst regelmäßiger Gast im rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda.
RZ Koblenz und Region vom Freitag, 2. Mai 2014, Seite 26